Vom Tun und Nichttun

"Es gibt nichts Gutes, außer man tut es." (Erich Kästner)

Manchmal ist es gut, sich Zeit zu nehmen, vor allem dann, wenn sich im eigenen Leben so viel verändert, dass man die Zeit braucht, alles neu zu sortieren. Meine persönlichen Veränderungen, die Krabbe, dann Corona, das vor allem unser Miteinander ja massiv verändert hat. Ich bin mehr als dankbar, liebe Menschen um mich zu wissen, die dem Leben auch in diesen Zeiten so viele schöne Momente geben.

In den letzten Monaten gab es viele Aufs und Abs, die Aufs überwiegen aber deutlich. Die Nebenwirkungen der Therapie machen sich immer wieder bemerkbar, und manchmal habe ich das Gefühl, sie geben sich die Klinke in die Hand. Verschwindet eine, kommt aus einer anderen Ecke die andere. Natürlich gibt es immer wieder Angst. Sie kann einen manchmal regelrecht überrollen. Dunkle Momente gehören dazu. Ich denke, sie gehören zu jedem Leben. Ich habe gelernt, sie anzunehmen, denn sie haben ihren Sinn. Sie verhindern das Verdrängen. „Ich sehe das Problem nicht, also sieht mich das Problem auch nicht“? Denkbar blöde Idee. Akzeptiere ich diese Momente, entspringt ihnen oft schon einen Tag später neue Kraft, wieder das Helle zu sehen und das Schöne, was dann meist besonders hell leuchtet. Und ja, es gibt immer wieder so viel Schönes im Leben. 

Wunder geschehen

Das schönste Wunder ist natürlich, dass André und ich JA gesagt haben. Wir sind so glücklich und unzertrennlich in all den Aufgaben, die uns immer wieder gestellt werden. Dieses JA ist so ein großes Herzens-JA zu unserem gemeinsamen Leben. Wir haben viel geschafft und noch ganz viel vor. Und dafür braucht es immer wieder Hoffnung und eine große Portion Zuversicht. Die haben wir, und mehr als das!

Ich habe immer gerne und auch sehr viel gearbeitet, war viel unterwegs. Nach meiner Diagnose und dem großen OP- und Therapiestart-Jahr 2019 war erst einmal viel Ruhe sehr wichtig. Der Körper braucht Zeit. Er hat sich sehr verändert durch die Strahlen, die Amputation, die fehlenden Hormone und all die Medikamente. Ich habe erkannt, dass ich noch mehr auf ihn hören muss, um ihn zu stärken. Und dass ein „Einfach weiter so“ nicht funktioniert. Vor allem aber, dass es auch nicht erstrebenswert ist. Es hat gedauert, denn alte Gewohnheiten sind treue Weggefährten, aber eben auch manchmal Selbstsabotage-Monster, von denen ich in meinem Buch erzähle. Sie können sehr anhänglich sein, diese destruktiven Begleiter, und es braucht eben auch Zeit, sie freundlich hinauszubegleiten aus dem eigenen Leben.

Der Rückzug die letzten Monate war gut, denn genau so unsinnig wie ein „Einfach weiter so wie früher“ ist ein „Ich geb jetzt neu Vollgas“. Wenn man allerdings gewohnt ist, den Fuß auf dem Gas zu haben, braucht es Zeit, sich neu zu orientieren und die Balance zu finden – eben aus Tun und Nichttun. Ich habe in mich hineingehört, in den neuen Körper, auch in den Kopf, der neue Gedanken formt und sich manchmal ganz schön dabei verknotet. Letztlich habe ich ein viel besseres Gespür entwickelt für das, was wirklich wichtig ist, was mir gut tut und vor allem, wie ich mit mir selbst umgehe. Ich habe mir einfach diese Zeit gegeben, und dies hat sich wirklich sehr gelohnt.
Ich bin unendlich dankbar für so viele kleine und große Wunder, die man ja doch oft übersieht, wenn man ausschließlich Vollgas fährt. Ich durfte in einigen Untersuchungen wieder erfahren, dass die Krabbe ruhig ist. Sie schenkt mir Zeit, und das ist überhaupt das schönste und beste Wunder, das mich jeden Tag noch viel bewusster erleben lässt, denn jeder neue Tag ist ein Geschenk.

Neue Kraft

Ich wurde von so vielen lieben Menschen angesprochen, wann ich weiter schreibe, wann es Neuigkeiten gibt von mir. Einige Zeit musste ich Euch vertrösten, denn wie oben geschrieben, war der Rückzug wichtig, um mit neuer Kraft nach vorne zu schauen. In der Ruhe habe ich an meinem Buch geschrieben, was mir große Freude macht und mich stärkt. Es wächst von Tag zu Tag, und es ist wunderbar, dabei zu lernen. Ich lerne vor allem, dass dies eine anspruchsvolle Aufgabe ist, die von Freude bis Verzweiflung so ziemlich alle Gefühle auslöst. Manchmal fließen die Worte ganz von allein, und manchmal drehe ich mich um diesen einen Satz – gefühlt hunderte Male, bevor es weitergeht. Inzwischen weiß ich, dass es manchmal Sinn macht, nicht verbissen dranzubleiben, sondern vielleicht rauszugehen in die Natur und den Kopf frei pusten zu lassen. Beim Schreiben lerne ich auch sehr viel über mein Leben. Es entlarvt den Selbstbetrug sehr gut. Vor allem, wenn man über sich selbst schreibt, wird es sehr holprig, wenn man nicht wirklich ehrlich zu sich selbst ist. Genau wie hier im Wunder-Blog ist alles, was ich aufschreibe in meinem Buch wirklich authentisch – und für Euch wie für mich vielleicht ein bisschen Lebensfreude und Motivation. Als Wiedereinstieg in dieser verrückten Zeit möchte ich Euch drei kleine Impulse mitgeben, die mir wertvolle Hilfen waren in diesen letzten Monaten, die für uns alle ja aufgrund des fiesen Virus so viele Herausforderungen mitgebracht haben. Es geht immer weiter, anders manchmal, aber es geht weiter. Tun wir etwas dafür, den Tagen Sinn zu geben. 

Drei kleine Impulse

Geht raus in die Natur!
Wann immer es geht, schnürt die bequemsten Schuhe, die Ihr habt, und macht Euch auf den Weg. Egal ob Wald, Feld, Heide, Fluß oder Meer. Die frische Luft tut gut und räumt uns innerlich auf. Hinzu kommen all die kleinen Wunder, die man immer wieder neu entdeckt. Die kleine Blume mitten im Asphalt, die Blüte, die als allererstes Frühlingszeichen einfach plötzlich da ist und die Weite, wenn man über die Felder blickt, sind Balsam für die Seele. Der Himmel mit seinem fantastischen Farbenspiel früh morgens oder abends, das Licht, das zu jeder Jahreszeit seine besondere Stimmung malt. Es ist so schön, auf diese kleinen Alltags-Entdeckungsreisen zu gehen, und sich daran zu freuen.

Tut etwas!
Was wir alle sehr gut gelernt haben, ist, uns etwas vorzunehmen. Im Kleinen sind es die alltäglichen „To Dos“, die uns durch den Tag begleiten. Im Großen zum Beispiel unsere Jahresziele. Alle Jahre wieder zu Silvester. Im Vornehmen sind wir ganz groß, also ich jedenfalls. Heute nehme ich mir vor, dass…… Nun, die Bilanz am Abend – oder eben nach einem Jahr, was die großen Vorhaben angeht, ist dann doch oft ernüchternd. Bestenfalls haben wir uns mit den Vorhaben gleich die Ausreden parat gelegt, in die wir flüchten zur Abmilderung dieses fiesen an uns nagenden Gefühls, das Untätigkeit gerne hinterlässt in dieser Eigentlich-Aber-Falle: „Ich wollte ja eigentlich, aber…..“ Falle zugeschnappt!
Was ich festgestellt habe? Erich Kästner hatte Recht! „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“ Mein Trick? Nicht lange überlegen, einfach anfangen. Egal, ob Aufräumen, Ablage, Bücher sortieren, Blumen gießen. Meine Wahl sind die kleinen gesammelten Belege in meinem Portemonnaie. Die kann ich leicht überblicken, ohne mich gleich im Strudel undurchdringlicher Aufgabenberge zu verstricken. Die sind ungefährlich. Ist damit der Anfang gemacht, läufts von allein – auch beim Griff zu größeren Papierbergen oder einem weißen Blatt, das auf Buchstaben wartet.

Tut bewusst nichts!
Wie jetzt? Oben steht, es ist wichtig etwas zu tun. Und nun doch wieder nicht? Genau. Manchmal ist es gut, nichts zu tun. Und zwar gar nichts. Ganz bewusst nichts. Seien wir mal ehrlich. Wann tun wir einmal bewusst nichts? Ich setze mich aufs Sofa und habe gleich wieder das Handy in der Hand, oder das MacBook auf dem Schoß. Oder ich finde einen Prospekt, den ich mal durchblättern könnte. Das ist nicht NICHTS TUN. Das ist die oben beschriebene ungute Strategie gegen das viel sinnvollere Tun, also eher ein Ablenkungsmanöver. Der Unterschied ist klar, oder?

Der Trick hier: Es geht darum, wirklich einige Zeit NICHTS zu tun. GAR NICHTS. Atmen. Das ist wichtig. Ansonsten: Nicht aufs Handydisplay schauen, nicht lauern, ob die Post kommt, nicht grübeln, nicht mental den Einkaufszettel schreiben. Setzt Euch einfach aufs Sofa, schließt die Augen und tut nichts. Das ist in Zeiten von Breaking News und Postings im Sekundentakt ein ganz neues Gefühl. Glaubt mir. Ich habe es selbst erfahren. Es muss nicht lange sein. Die Gedanken, die dann in Ruhe von ganz alleine kommen, sind so unendlich wertvoll. Sie kommen aus Eurem Inneren, das sich sammeln darf in diesen Momenten. Gedanken, die sich sammeln dürfen, geben Kraft und oft auch neuen Mut, wieder etwas zu tun. Vielleicht etwas ganz Neues auf ganz neuen Wegen.

Und dann, mit neuer Kraft, macht das nächste Posting oder der Blog-Beitrag richtig viel Freude!