KörKö
„Das Meiste haben wir gewöhnlich in der Zeit getan, in der wir meinten, zu wenig zu tun.“
(Marie von Ebner-Eschenbach)
Wir alle kennen dieses hübsche Sprichwort: Aus Steinen, die dir im Weg liegen, kannst du ein schönes Haus bauen. Ich bin bereits einmal kurz darauf eingegangen. Denn manchmal sind es schlicht nicht Steine sondern regelrechte Felsbrocken, die Menschen vor die Füsse fallen. Und da reicht ein hübschen Sprichwort nicht, um – zack – das Ruder rumzureißen. Da stellt sich dann die Frage, was wir denn so tun, wenn wir vor einem Berg Steine oder einem solchen Felsbrocken stehen.
Das nette Wort Resilienz erlebt vor allem seit der Corona-Krise eine regelrechte Renaissance. Was nicht verwunderlich ist, denn diese Krise traf uns alle ohne Ausnahme, wobei die allgemeine Krise uns jeweils individuelle Herausforderungen, also Steine aller Größen, vor die Nase geschubst hat. Resilienz, die auch als psychische Widerstandskraft bezeichnet wird, ist im Grunde die Fähigkeit, außergewöhnliche Lebensereignisse anzunehmen und mit ihnen umzugehen.
Kurz vor der Corona-Krise erwischte mich, wie Ihr hier im Blog lesen könnt, ja meine Brustkrebserkrankung. Ich war also noch mitten in der Behandlung als die allgemeine Krise sich quasi zusätzlich darauf setzte. Ein Stein lag schon da, und schwups, ein weiterer wurde dazugelegt. Das Schicksal hat quasi nochmal angeklopft:„Geh mal zurück auf Los. Hier bitteschön, ich hätte da noch eine zusätzliche Prüfung für Dich. Damit es nicht langweilig wird!“
Kein Leben ohne Steine
Nun ist die Frage interessant:
Was hindert uns daran, das Beste aus unserem Leben zu machen?
Sind es die offensichtlichen Steine, bei mir der Krebs und die zeitgleiche Corona-Krise, oder die innerlichen Steine, die sich vor allem als Zweifel, Ängste oder Bedenken immer wieder neu auf unseren Weg werfen, vornehmlich dann, wenn wir gerade dabei sind, einen offensichtlichen Stein mit entsprechender Mühe zu überwinden. Es ist inzwischen erwiesen, dass Resilienz erlernbar ist. Niemand behauptet, dass dies einfach ist, es ist aber durchaus lohnenswert. Denn Fakt ist, dass wir auf unserer Lebensreise Steine unterschiedlicher Größe nicht verhindern können. Und vielleicht wäre das auch gar nicht gut. Denn Steine zu überwinden, kann durchaus bereichernd sein. Schaffen wir dies, so wachsen wir daran. Wir lernen uns ganz neu kennen, werden mutig und oft ist es auch so, dass wir uns gerade darin ehrlich begegnen. Mitunter tun sich neue Lebenschancen auf, die wir auf glatter freier Strasse niemals erkannt hätten. Für mich war dies genau so, und möchte hier kurz aufschreiben, welche Schritte mir geholfen haben, genau dies zu erkennen:
1. Annehmen
Es hilft nichts. Wird uns etwas ins Leben geschleudert, was wir nicht bestellt haben, sei es an uns ganz persönlich gerichtet oder allgemein, dann gilt es, dies anzunehmen. Das ist vielleicht das Allerschwerste, aber Wichtigste! Je mehr wir gegen etwas kämpfen, desto mehr werden wir zum Opfer der Dinge. Und genau dies kurbelt die Abwärtsspirale grandios an, die uns letztendlich bei der nicht beantwortbaren Frage: „Warum ich?“ zurücklässt. Denn im Grund kann man ja auch fragen: „Warum nicht ich?“ Die Dinge sind, wie sie sind, die Steine liegen dort. Es gilt, sie wahr- und anzunehmen. Punkt. Und dann gilt es, ins Tun zu kommen.
2. Tun
Dies ist der wichtige zweite Schritt. Wir müssen den Steinen richtig begegnen. Manchmal muss man drüberklettern, manchmal kann man sie auch wegräumen. Je nach Größe, Lage, Beschaffenheit. Und oft ist es auch ein Mix aus vielen Möglichkeiten, ihnen zu begegnen. Das Wichtigste ist immer die Frage: „Was kann ich tun?“ Und die Antwort: „Ich tue etwas.“ Und etwas geht immer. In meinem Fall war es völlig sinnlos, sich die Krankheit wegzuwünschen, sie zu verdammen, zu wünschen, dass dies nie geschehen wäre. Aussichtslose Wünsche oder Wünsche, die wir nicht selbst beeinflussen können, sind sinnlos und führen in einen endlosen inneren Dialog mit uns selbst, der immer in Hilflosigkeit endet. Das Tun ist das Gegenmittel gegen die Hilflosigkeit, die wir selbst durch das allerkleinste Tun durchbrechen.
3. Sortieren
Ich habe festgestellt, dass es oft besser ist, zunächst etwas zu tun, also einfach anzufangen, das kann ein neuer Gedanke, eine Idee oder einfach ein Spaziergang sein. Es kann auch sein, dass ich völlig unsortiert etwas aufschreibe, Hauptsache ich tue etwas. Danach überlege ich in ganz kleinen Schritten, wie ich den Weg weiter gehe und welche Steine dabei weggeschoben oder überwunden werden. Sortiere ich erst, ohne mit etwas anzufangen, bleibe ich bei endlosen Vorhaben, und schlimmstenfalls verurteile ich mich dann auch noch dafür, dass ich nichts davon tue. Dann lauert garantiert hinter der nächsten Wegbiegung der nächste Stein, den ich langsam selbst zu den anderen rolle. Und mir reichen ehrlich gesagt heute die Steine, die dort bereits liegen. Ich muss keine weiteren dazu packen.
Mit jedem Tun kommt ein Gefühl, selbst Einfluss zu nehmen. Vielleicht kann ich mich nicht heilen, aber ich kann Schmerzen lindern. Vielleicht kann ich kein ganzes Buch in einem Monat schreiben, aber ich kann wichtige Zeilen aufschreiben, und die fünf Seiten tun mir gut. Vielleicht kann ich mich bewegen, und ich spüre meine Muskeln, und damit Zellen, die gesund werden. Es gibt so viele kleine Schritte, die ein positives Gefühl auslösen und damit immer größere Steine auf dem Weg bewegen. Dies gilt es herauszufinden, und das macht sogar in einer Krise sehr viel Freude.
4. Routinen entwickeln
Hier wird es richtig spannend, denn die gedanklichen Steine können tatsächlich sehr leicht werden. Je besser wir sortieren und feststellen, dass Tun richtig gut tut, desto leichter werden die Steine. Wir erkennen dann, dass es tatsächlich die eigenen inneren Steine sind, die uns schaden. Und plötzlich merken wir, dass wir einfach rausgehen, wenn wir uns in negativen Gedanken verfahren. Weil wir merken, dass wir genau dies brauchen. Wir bauen unseren Weg durch die Steine, den wir viel leichter gehen, weil wir gute Routinen haben, die uns gerade vor den Felsbrocken schützen. Die Kraft, die aus diesen Routinen resultiert, ist enorm und genau die brauchen wir, um an unseren Lebenssteinen zu wachsen.
Was genau können wir in unseren Alltag integrieren, das uns gut tut? Hier ist vor allem wichtig, dass wir uns selbst gut tun, dass wir nett zu uns sind und uns nicht für all das, was vielleicht noch im Weg liegt, verurteilen. Routinen sind vor allem die ganz kleinen Schritte, die Strategien des Steinerollens. Wenn ich nicht weiterkomme und mir die Ideen ausgehen, hilft es nicht, ins Straucheln zu kommen oder doch an mir zu zweifeln. Es hilft eher die große Tasse Kaffee auf der Terrasse oder mit meinen Hunden auf dem Sofa, die ich bewusst genieße. Genau dies schubst meinen Kopf wieder ins Thema, und ich habe irgendeinen kleinen Impuls, um weiterzumachen. Das merke ich mir, und daraus wird eine Routine. So habe ich inzwischen viele Routinen, die aus dem Sortieren entstanden sind. Beim Aufstehen, in meinen kleinen Pausen, beim Spaziergang oder mit den Hunden.
Routinen kullern die Steine an den Wegesrand, und immer öfter hüpfe ich leichtfüssig zwischen ihnen durch. Sie sind dann nicht weg, aber ich kenne den Weg hindurch.
5. Uns selbst wertschätzen
Der fünfte Punkt ist – glaube ich – der meist unterschätzte. Wir nehmen die Steine auf unserem Weg an. Wir setzen uns in Bewegung. Wir lernen über uns selbst. Wir sortieren. Wir entwickeln Routinen, die uns gut tun. Dies tun wir immer wieder mit allen Aufgaben, Herausforderungen, die uns begegnen. In vielen kleinen Schritten kommen wir uns näher, lernen immer wieder neue Facetten, entdecken Talente, nutzen Chancen und Möglichkeiten.
Denn mit jedem bewegten Stein tun sie sich auf, und wir dürfen zugreifen. Dann sollten wir nicht vergessen, uns dafür wertzuschätzen, und zwar jeden Tag für jeden kleinsten Schritt und Stein auf dem Weg. Gelingt uns dies, dann werden wir auch Felsbrocken mit Leichtigkeit bewegen.